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Wie entsteht Persönlichkeit?

by Leticia Linden Leave a Comment

Was prägt Kinder wirklich – Gene oder Umwelt?

Wie entsteht unsere Persönlichkeit? Die Forschung ergibt, dass Erbgut und Umwelt gleichermaßen wichtig sind – und manches Defizit ausgleichen werden kann.

Persönlichkeit

Oftmals fühlen sich Eltern spätestens bei der vollen Blüte der Pubertät ihrer Kinder als Versager. Wenn die Kinder überhaupt noch mit einem reden, dann meist in einem schnippischen Ton und mit der Betonung darauf, dass man ja eh nichts richtig machen kann. Doch Eltern müssen nicht verzweifeln, denn in den meisten Fällen geht das extreme Verhalten mit dem Ende der Pubertät zurück. Aus biologisch-psychologischer Sicht ist die Pubertät eine emotionale und kognitive Achterbahnfahrt durchs Chaos. Ausgelöst durch den Einfluss von Sexualhormonen, sowie den Drang nach Abnabelung und Selbstfindung. Obwohl die Pubertät zeitlich begrenzt ist, ändert dies wenig an dem Grundgerüst der Persönlichkeit.

Wenn das Kind zum Monster wird: Lügen, Stehlen, Quälen

Wenn ein Kind bereits im frühen Kindesalter anfängt, Verhaltensauffälligkeiten wie häufiges Lügen, zwanghaftes Stehlen oder gezielte Quälerei von anderen Menschen oder Tieren aufzuweisen und diese mit in die Pubertät nimmt, kann es sein, dass das Kind eine Persönlichkeitsstörung hat. Bei rund fünf Prozent der Jungen und ein bis zwei Prozent der Mädchen können Persönlichkeitsstörungen bereits im jungen Kindesalter festgestellt werden. Persönlichkeitsstörungen sind in vielen Fällen auf frühkindliche Vernachlässigung und/oder Missbrauch zurück zu führen, aber auch genetische Faktoren können bei der Entwicklung einer Persönlichkeitsstörung eine Rolle spielen.

Die Genetik oder die Umwelt allein, macht keine Persönlichkeit (Persönlichkeitsstörung)

Was lässt Menschen zu dem machen was sie heute sind? Dies kann aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden, darf jedoch in keinem Fall pauschalisiert werden. Biologisch-naturwissenschaftlich Denkende sahen die Antwort vornehmlich in „guten“ oder „schlechten“ Genen und der entsprechenden Hirnentwicklung. Für viele Psychologen und Sozialwissenschaftler waren es die positive oder negative Umwelteinflüsse und für viele Geisteswissenschaftler und Juristen der Grad der selbst gesteuerten geistig-moralischen Entwicklung, welche die Persönlichkeit eines Menschen bestimmen. All diese Ansichten haben nur eine sehr begrenzte Erklärungskraft. Das zeigen Untersuchungen der vergangenen Jahre von Neurobiologen, Psychologen und Psychiatern. Die starre Entgegensetzung zwischen vermeintlich rein genetisch-biologischen Faktoren und reinen Umweltfaktoren ist überholt, ebenso das klassisch-romantische Bild des „aus sich selbst entwickelnden“ Individuums.

Schädigungen im Gehirn können die Entwicklung von Persönlichkeitsstörungen fördern

Seit langer Zeit ist bekannt, dass Fehlentwicklungen, Erkrankungen oder Verletzungen bestimmter Teile des Gehirns zu tiefgreifenden Persönlichkeitsstörungen führen können, einschließlich schwerer Störungen des Sozialverhaltens wie Gewalttätigkeit und Psychopathie. Spektakulär sind die Folgen einer akuten Verletzung des unteren und inneren Stirnhirns durch mechanische Schädigung oder einen Schlaganfall. Sie können aus einem friedfertigen und planvoll vorgehenden Menschen eine hochimpulsive und rücksichtslose Person machen.

Warum es zu diesen Persönlichkeitsveränderungen kommt, wurde mittlerweile aufgeklärt: In diesen Teilen des Stirnhirns befinden sich Gebiete, die im Laufe der ersten 20 Lebensjahre unter dem Einfluss von Erziehung und Sozialisation in spezifischer Weise „verdrahtet“ werden und entsprechend unser soziales Verhalten lenken. Dabei spielen Impulshemmung und das Erkennen und Berücksichtigen sozialer Risiken eine besondere Rolle. Andere Hirnbereiche haben mit Empathie und der Fähigkeit zu tun, das Denken und Fühlen der Mitmenschen nachvollziehen zu können. Für nahezu alle Aspekte sozial-kommunikativen Handelns, wie gegenseitiges Verstehen, Liebe, aber auch Scham, Reue und mildtätiges Tun haben Forscher Regionen gefunden, die zusammengenommen ein großes Netzwerk des „sozialen Gehirns“ bilden.

Die Fürsorge der Bezugsperson erzeugt Urvertrauen

Die britische Psychologen John Bowlby und Mary Ainsworth entwickelten bereits in den 40er Jahren die Erkenntnis, dass die ersten Lebensjahre bei der Ausreifung dieses „sozialen Gehirns“ entscheidend sind. Und zwar im Rahmen der frühkindlichen Bindungserfahrung mit der primären Bezugsperson, also in der Regel – aber keineswegs notwendigerweise – mit der Mutter. Zum einen erfahren Säugling und Kleinkind die Wohltaten der Fürsorge durch die Bezugsperson, und dies erzeugt ein Urvertrauen. Gleichzeitig differenziert sich durch die emotional-kommunikative Interaktion die anfangs noch diffuse Gefühlswelt des Kindes langsam aus. Durch die Art, wie die Bezugsperson mit ihm umgeht, prägt sich deren Gefühlswelt dem Kind zumindest teilweise auf. Das betrifft besonders den Umgang mit Stress und Belastungen, etwa der vorübergehenden Trennung von der Mutter, die Fähigkeit, auf Belohnungen zu warten, spontane Impulse zu zügeln, Konflikte gewaltlos zu lösen oder eine Vorstellung vom Fühlen und Denken der Anderen zu entwickeln – also all das, was zu den grundlegenden sozialen Kompetenzen gehört.

Eine depressive Bezugsperson kann die Erkrankung über ihr Verhalten an das Kind weitergeben

Eine sichere Bindung entsteht nur dann, wenn die betreuende Person über entsprechende Kompetenzen verfügt. Sind diese nicht oder nicht ausreichend vorhanden, zum Beispiel aufgrund eigener mangelnder Bindungserfahrungen, Traumatisierung durch Misshandlung, Missbrauch oder schwere Schicksalsschläge, dann prägen sich diese Defizite in verhängnisvoller Weise in die Psyche und Persönlichkeit des Kleinkindes ein. Sie bilden zudem die Grundlage späterer psychischer Störungen einschließlich mangelhafter Bindungskompetenzen im Jugend- und Erwachsenenalter. In diesem Fall entsteht ein stark erhöhtes Risiko, dass eine depressive Bezugsperson ihre Erkrankung über ihr Verhalten an das Kind weitergibt.

Die Macht der Hormone

Sowohl in der frühen als auch späteren Bindung ist bei den beteiligten Personen die Ausschüttung des Bindungshormons Oxytocin erhöht – zuweilen genügt schon der Anblick der geliebten Person oder gar das Hören der Stimme. Dies führt dazu, dass die Menge an Stresshormonen wie etwa Cortisol zurückgeht. Zugleich wird vermehrt das beruhigend wirkende Serotonin gebildet sowie hirneigenen Belohnungsstoffe, die endogenen Opioide. Dieses Zusammenspiel von Hormonen beruhigt und besänftigt das Kleinkind ebenso wie den Erwachsenen. Mütterliche Fürsorge beziehungsweise deren Ausbleiben wirken auf diesem Wege auf die Ebene der Regulation der Gen-Aktivität, „epigenetische Ebene“ genannt. Unter bestimmten Bedingungen können dort sogar Veränderungen hervorgerufen werden, die vererbt werden. Allerdings werden dabei nicht die Gene selbst, sondern die regulatorischen Mechanismen an die nächste Generation weitergegeben. Beide sind in den Keimzellen vorhanden.

Die soziale Umwelt prägt sich dem Gehirn und der Psyche des Kleinkindes aber nicht nur innerhalb der ersten Lebensjahre über die primäre Bindungserfahrung ein, sondern bereits vor der Geburt. Dies geschieht vor allem über das Gehirn der Mutter, mit dem das Gehirn des ungeborenen Kindes über die Blutbahn verbunden ist. So können Stoffe wie das Stresshormon Cortisol, das im Gehirn der Mutter bei traumatischen Erlebnissen in Massen produziert wird, in das Gehirn des Ungeborenen gelangen. Dort kann das noch sehr unreife Stressverarbeitungssystem geschädigt werden oder es entstehen zumindest Vorbelastungen, die später zu einem erhöhten Risiko von Persönlichkeitsstörungen führen können. Dabei kann es zu einer viel größeren Stressempfindlichkeit etwa in Form von Angststörungen kommen oder im Gegenteil zu einer stark verminderten Stressempfindlichkeit, etwa in Form einer antisozialen Persönlichkeitsstörung, je nachdem wie stark die Einwirkung war und wie früh sie stattfand.

Frühkindliche Einflüsse hinterlassen Spuren im Gehirn

Neurobiologische Verfahren konnten nachweisen, dass frühkindliche negative Einflüsse direkten Einfluss auf die Entwicklung des Gehirns. Das Verfahren geschieht meist, indem man die Menge bestimmter für die Psyche relevanter Substanzen (Neurotransmitter, Neuropeptide, Neurohormone) misst und mit Ergebnissen der funktionellen Kernspintomografie kombiniert. Dabei zeigt sich, dass aufgrund frühkindlicher Schädigungen insbesondere diejenigen Gehirnteile betroffen sind, die mit dem Umgang mit Stress zu tun haben, mit Selbstberuhigung, Impulshemmung, Bindung und Empathie. Allerdings ist auch festzustellen, dass derartige Defizite sowohl im Gehirn als auch im Verhalten meist verschwinden, wenn innerhalb von rund zwei Jahren gute alternative Bindungserfahrungen gemacht werden. Diese Erfahrung konnte mit schwer vernachlässigten oder missbrauchten Kindern gemacht werden, die innerhalb ihrer ersten zwei Lebensjahre von fürsorglichen Adoptiveltern aufgenommen und umsorgt wurden. Kinder, die erst nach ihrem 2. Lebensjahr in ein geborgenes Umfeld aufgenommen werden konnten, zeigten größere und langwierigere Bemühungen, um positive Veränderungen hervorzurufen. Durch die Plastizität unseres Gehirns ist es prinzipiell nie zu spät, sich zu ändern und unsere Befindlichkeit zu verbessern. Die Faustregel ist aber, desto früher, desto besser.

Frühe Bindungserfahrungen und Epigenetik formen die Persönlichkeit

Unser Gehirn und somit unsere Persönlichkeit, wird somit von mindestens drei verschieden Faktoren in der engeren oder weiteren Umwelt gestaltet und geprägt. Die Gene im engeren Sinne spielen hierbei eine nur allgemeine Rolle: Sie legen fest, dass wir im biologischen Sinne Menschen sind und dass wir hinsichtlich unserer kognitiven, emotionalen und sozialen Merkmale von der Gesellschaft geprägt werden können. Wie sich im Einzelnen die Persönlichkeit entwickelt, hängt dann von den epigenetischen Vorgängen vor der Geburt, den frühen Bindungserfahrungen und den späteren sozialen Erfahrungen ab, wobei den ersteren beiden Einflussfaktoren eine besondere, wenngleich nicht unumstößliche Wirkung zukommt.

Eltern sollten somit nicht immer nur bei sich allein suchen. Das Kind wurde bereits während der Schwangerschaft von Mutter und Umwelt beeinträchtigt, die Großeltern, als auch die Herkunft als Gesellschaft oder Land, spielen eine große Rolle in der Entwicklung der Persönlichkeit.
Am Ende kann also festgehalten werden, dass Gene nicht das Schicksal bestimmen und dass die Umwelt vielen, aber doch nicht alles beeinflussen kann. Es ist also ein komplexes Wechselspiel zwischen beiden, das während der Hirnentwicklung abläuft und findet seinen Ausdruck in der individuellen und sozialen Persönlichkeitsentwicklung.

Roth, G. (2015). Wie das Gehirn die Seele mach. Stuttgart, Deutschland: Klett-Cotta.

Das Buch zum Artikel hier:

Wie das Gehirn die Seele macht

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About Leticia Linden

Leticia Linden ist Coach für Therapeuten, Psychologen und Coaches, die sich durch erfolgreiches Coaching mehr Zeit und finanzielle Freiheit gewinnen wollen. Dafür hat sie zusammen mit ihrer Geschäftspartnerin Stefanie Bruns die Online Coaching Akademie gegründet. Ihre Mission ist es, mehr Menschen bei der Erfüllung ihrer Träume zu begleiten und damit Teil der Veränderung dieser Welt zu sein.

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